Haushaltssanierung und Verwaltungsreform>>Pressespiegel>>Nationale Berichterstattung

 

Frankfurter Rundschau
Erscheinungsdatum: 24. Juni 1998


Gefeilscht wird um jede Kaffeemaschine
Neustadt, das Wein-Zentrum in der Pfalz, zieht sich mit Bürgerhilfe aus dem Schuldensumpf
Von Michael Grabenströer

(Neustadt) Das Dutzend kreisfreier Städte in Rheinland-Pfalz hat eines gemeinsam - ihre Haushalte sind durchgängig defizitär. Daß ist bundesweit nichts Besonderes, sozusagen stadt-typisch, gäbe es da nicht Neustadt an der Weinstraße, gerade 55.000 Einwohner stark, größte Weinbau treibende Gemeinde Deutschlands und mit dem Hambacher Schloß Hort der ersten deutsch(tümelnd)en Demokratiebewegung.·Aber auch eine Stadt, in der Pragmatismus versteinerte Geschichte geworden ist. In der Stiftskirche trennt seit bald 300 Jahren eine Mauer Chor und Schiff, damit Katholiken und Reformierte das Gotteshaus separat und doch gemeinsam nutzen konnten. Die Mauer kann noch heute Sparsamkeitssymbol sein: Vieles geht,  wenn man es nur will, und nicht alle Mauern müssen eingerissen werden, um ein Ziel zu erreichen.

Die Stadt war Mitte der 80er Jahre tief in der "Schuldenfalle", wie man im Rathaus unumwunden zugibt. In der Republik lag man auf einem der vordersten Plätze in der Hitliste der Pro-Kopf Verschuldung, rund 4500 Mark pro Bürger, für die Stadt bedeutete es das Ende jeder normalen Haushaltsentwicklung. Das Weinzentrum in der Pfalz, in der alljährlich die deutsche Weinkönigin auf den Thron gesetzt wird, gleichzeitig biedere Beamtenhochburg, hatte auf Zuwachs gesetzt und jahrelang Projekte auf die Zielgröße von 70.000 Einwohnern überdimensioniert. Dazu kamen die Auswirkungen der Gebietsreform, die neue Stadtteile brachte, aber auch mehr Infrastruktur erforderte. Außerdem verführten Bund und Land damals mit reichlich angebotenen Investitionszuschüssen die Kommunen zu unkontrolliertem Ausgabeverhalten. Die Folge; ein Schuldenberg von über 210 Millionen Mark auf dem Höhepunkt Mitte der 80er Jahre. Neustadt Iebte mit und von Sonderbedarfszuweisungen des Landes und konnte keine ausgeglichenen Haushalte mehr vorlegen.

Doch das ist Vergangenheit. Neustadt hat es geschafft; sich am eigenen Schopf aus dem Schuldensumpf zu ziehen, jedenfalls halbwegs. Zum Jahresbeginn 1998 war der Schuldenstand auf 120 Millionen Mark abgesunken, und Haushaltspläne, in denen Einnahmen und Ausgaben sich die Waage halten, sind seit 1993 keine Utopie mehr, sondern kommunalpolitische Realität - sehr zur Verwunderung anderer Städte. Das liegt nicht nur daran, daß Oberbürgermeister Jürgen Weiler (SPD) bei Kaffeemaschinen und Feuerwehrwagen·um Rabatte feilscht und schon mal selbst zum Telefon greifend, bei einem Möbelhaus einen Preisnachlaß von einem Drittel heraushandelt.

Um die eigenständige kommunale Handlungsfähigkeit wiederherzustellen, hat die Weinstadt, nicht ganz freiwillig, gelernt, daß es auf einen, "politischen Grundkonsens", so der Beigeordnete Wolfgang Ressmann (SPD), abkommt, auf den sich Stadtspitze, Verwaltung, Stadtrat, Parteien und Bürger verständigen. Die Bürger hatten 1989 bei den Kommunalwahlen prestigeträchtigen Großprojekten eine Abfuhr mit dem Stimmzettel erteilt, die Mehrheitsverhältnisse verändert und so den Zwang zu Grundsatzentscheidungen geschaffen. Der Stadtrat als Entscheidungsgremium wurde wieder ernster genommen und nicht (partei)politisch ferngesteuert.  Auf Hallenbad und Tiefgarage wurde verzichtet, Dienstleistungen wie Krankenhaus, Schlachthof, Müllabfuhr, auch Tourismus-Information wurden ausgegliedert aber nicht in jedem Fall privatisiert. So behielt die Stadt die Regie über die Müllabfuhr, um die Vertragsgestaltung für die Gebühren nicht aus der Hand zu geben, obwohl das Angebot eines privaten Entsorgers deutlich günstiger war. So sind trotz der Konsolidierungsbemühungen städtische Gebühren und Abgaben in den vergangenen fünf Jahren weitgehend konstant geblieben. Eine zusätzliche Bürgermotivation. Dafür trennte sich die Stadt von historischem Hausbesitz in der Altstadt, allerdings mit scharfen Renovierungsauflagen.

Stadtintern wird keine Sparmöglichkeit ausgelassen, und es gilt die Doktrin, "Haushaltsansätze nicht als vorhandene Mittel, sondern als absolute Ausgabenobergrenze zu begreifen". Dafür braucht die Stadt keine Produktbeschreibungen oder Kataloge, wie sie in vielen Verwaltungsreformmodellen bereits gängig sind. Die Rathausspitze traut sich zu, ihre Beschäftigten - mit einem Schnitt von weniger als 99 Bediensteten auf 10.000 Einwohner ist Neustadt Spitze unter den kreisfreien Kommunen in Rheinland-Pfalz - zu kontrollieren und zu einzellfallorientierten Entscheidungen anzuhalten. So werden beispielsweise die Fotokopierkosten von 300.000 Mark im Rathaus auf unter 80.000 Mark gedrückt.

Auf Einsparungen verweist Kämmerer Günther Rothaug, der 1997 sogar einen Haushaltsüberschuß erwirtschaftet hat, auch im Sozialbereich wegen einer "besseren Sachbearbeitung von Einzelfällen". Das bedeutet in der SPD-geführten Kommune auch die Kontrolle von Sozialhilfeempfängern, deren Zahl dadurch 1997 um etwa 150 reduziert wurde. Bei Asylbewerbern wurde rigoros von Geld- auf Sachleistungen umgestellt. Das Jugendamt leistete "intensive Elternarbeit", um die Kinder aus teuren Heimplätzen zurückzuholen und der Stadt Ausgaben ersparen zu können. Gründlich prüft die Kommune in jedem Fall, welche Kostenträger noch greifen könnten, und reduzierte so allein ihre Ausgaben bei Eingliederungshilfen von Jugendlichen um mehrere 100.000 Mark.

Ohne oder gar gegen die Bürger hätte man die Reduzierungen nicht durchsetzen können. Stolz verweist die Stadtspitze auf ein Freibad zwischen Rebstöcken, eines von dreien, die nicht geschlossen werden mußten. "Vier Schwimmbäder sind Luxus", hatte sie den Bürgern klar gemacht, und die hatten sich für den wohnortnahen Bade-Luxus entschieden, allerdings nicht voll aus dem Stadtsäckel finanziert. Sie gründeten einen Schwimmbadverein, mähen den Rasen auf den Liegewiesen selbst, sorgen an der Kasse für Einnahmen, stellen die Bademeister ein, übernahmen "Mitverantwortung", bekamen Zuschüsse von der Stadt und erbrachten einen ansehnlichen Sparertrag von über 600.000 Mark.

Was bei den Freibädern funktioniert, klappt auch bei Spielplätzen. Da leisten sie sich "Luxus", weil Eltern die Spielgeräte zusammenschrauben, Väter die Wege plätteln und Kinder vielleicht deshalb einen Hauch schonender mit den Geräten umgehen, "weil doch mein Vater die Schaukel gebaut hat". Teilhabe an der Kommune und demokratische Lerneffekte sind die Folge, die sich in Neustadt in Gemeinsinn und in der Stadtkasse in Heller und Pfennig niederschlagen.  Natürlich gehen die Politiker mit gutem Beispiel voran. Wenn der Oberbürgermeister zu einem Partnerschaftsbesuch aufbricht, dann reist er möglichst im Zug, zweiter Klasse versteht sich, wie seine Rathausbediensteten es auch müssen, wenn sie in offiziellen Angelegenheiten unterwegs sind, und hat dabei das Partnerschaftsgeschenk unter dem Arm. Und die "Bezüge" für die 44 Stadtratsmitglieder sind auch seit 1982 auf einen Grundfreibetrag von 300 Mark monatlich plus 20 Mark für die Teilnahme an Sitzungen eingefroren. Und hinter vorgehaltener Hand wird erzählt, daß noch nie ein Ratsmitglied Verdienstausfallgeld in Anspruch genommen hat.

"Der Verwaltungsreform und dem Sparwillen geht eine Reform des Bewußtseins voraus", sagt der Beigeordnete Ressmann. Die muß bei Politik, Verwaltung und Bürgern gleichermaßen greifen, soll sie Erfolg haben. Neustadt, ohne komplizierte Steuerungsmodelle oder von Beratern aufgepfropfte Leitbilddiskussionen, stattdessen mit selbst entwickelten, allgemein akzeptierten Zielvorgaben, könnte dafür ein Beispiel sein - pragmatisch und effektiv. Da kommen selbst Japaner ins Staunen, die in ihrer Zeitschrift Kommunale Selbstverwaltung einen Artikel von Kenji Yamauchi, Direktor bei der Kommunalabteilung der Japanischen Außenhandelszentrale in Düsseldorf, über die Konsolidierungserfolge Neustadts lesen.

So weit sind die Probleme in japanischen Städten nämlich nicht von Neustadt entfernt. Und auch in Deutschland gehört Neustadt zu den "Modellprojekten" kritisch beäugt von anderen Kommunen, exemplarisch herangezogen von Verwaltungswissenschaftlern und beispielgebend, wie beim derzeit in Düsseldorf laufenden Kongreß für Effizienz in der öffentlichen Verwaltung. Doch da ist dann nicht von dem Rentner die Rede, der vom Verband der Ahnenforscher im Auftrag der Stadt die Anfragen nach Vorfahren in den alten Einwohnerregistern Neustadts beantwortet und damit wie selbstverständlich den Personaletat der Stadt entlastet.

Die Internetpublikation dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages der Frankfurter Rundschau.