Schlanker Staat
CCD.Congress Center Düsseldorf 24.- 25 Juni 1998
Block I, Forum 1 
Pilotprojekte zur Verwaltungsverschlankung auf kommunaler Ebene an den Beispielen der Städte Neustadt an der Weinstraße und Detmold

Vortrag 1
-Kurzfassung-

 


Von der Haushaltskonsolidierung zur Bürgerorientierung -
Verwaltungsreform in Neustadt an der Weinstraße
Dr. Wolfgang Ressmann
Beigeordneter der Stadt Neustadt a. d. Weinstraße

1. Allgemeine Angaben zur Stadt Neustadt an der Weinstraße

Die kreisfreie Stadt Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz) hat 55.000 Einwohner und liegt am Rande des Pfälzer-Waldes. Neustadt an der Weinstraße ist die größte weinbautreibende Gemeinde Deutschlands und Krönungsstätte der Deutschen Weinkönigin, sowie Sitz der Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz. Als Behörden- und Dienstleistungsstandort übt Neustadt an der Weinstraße Mittelzentrumsfunktion für den vorderpfälzischen Raum aus.

2. Eckpunkte der Haushaltskonsolidierung und Verwaltungsreform
Von links nach rechts: Dr. Reineke, Prof. Banner, Dr. Wolfgang Ressmann Die Verschuldung der kreisfreien Stadt Neustadt an der Weinstraße erreichte bereits Mitte der achtziger Jahre ihren Höhepunkt mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von ca. 4.500,- DM (zu damaligen Preisen), bei einer Einwohnerzahl von ca. 50.000. Neustadt lag damit bundesweit fast an der Spitze der höchstverschuldeten Städte.

Heute ist Neustadt an der Weinstraße die einzige kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz,

 die seit 1993 in Folge ihren Haushalt ausgleichen kann und gleichzeitig den kommunalen Schuldenberg um über 1/3 (185 Millionen DM auf ca. 119 Mill.) reduzieren konnte. Dabei blieb das städtische Leistungsspektrum in vollem Umfang erhalten. Die Steuer-, Gebühren und Beitragssätze sind seit 1993 stabil. Im Zuge der Umsetzung der Verwaltungsreform hat die Stadt Neustadt an der Weinstraße auf die Erstellung von Produktbeschreibungen und darauf aufbauenden Produktkatalogen verzichtet. Dies gilt auch Für die systematische Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung parallel zur Produktentwicklung. Außerdem wurde auf eine formale Reorganisation der Verwaltung ebenso verzichtet, wie auf eine explizite Einführung der Haushaltsbudgetierung.

2.1. Neue Steuerungsinstrumente im Zuge der Verwaltungsreform in Neustadt an der Weinstraße

Die Stadtführung setzte bei der Einleitung dieser "sanften" aber durchschlagenden Reform innerhalb der Kernverwaltung auf folgendes Instrumentenmix (AABK):

a) Aufgabenkritik: Wirtschaftlichkeitsberechnungen im Einzelfall Für derzeitige verwaltungstechnisch/politisch geforderte neue Leistungen inkl. Personalentwicklung. Eine ständige Überprüfung des Leistungsspektrums der Stadt Neustadt an der Weinstraße steht im Mittelpunkt dieses Elementes.

b) Ausgabenkritik + Vertragsmanagement: Überprüfung bestehender Ausgabenstrukturen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten (Wirtschaftlichkeit der Beschaffung, sparsamer Umgang mit Ressourcen, Wirtschaftlichkeit der Organisation)

c) Bestandskritik: Stetige Überprüfung des städtischen Immobilien- und Liegenschaftsbesitzes nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten.

Die Neustadter Vorgehensweise erfolgt den AABK-Kriterien entsprechend einzelfallorientiert.

2.2. Interne Kommunikation als Optimierungsinstrument am Beginn von Entscheidungs- und Planungsprozessen

Bei der Lösung von Problemen in der Stadt Neustadt an der Weinstraße steht das wirtschaftliche Optimum und nicht das verwaltungstechnische Maximum am Beginn von Planungsprozessen. Problemadäquate Lösungen sind daher häufig keine Standardlösungen, sondern auf den Einzelfall bezogene Regelungen. Ein zentraler Bestandteil dieser Vorgehensweise ist es, zwischen den einzelnen Fachämtern bestehende Funktionskamine zu durchlöchern, um einen hierachieübergreifenden, ungehinderten Kommunikationsfluß zu ermöglichen und das "Herrschaftswissen" in kooperations- und lösungsorientiertes Fachwissen zu verwandeln.

2.3. Die Rolle der politischen Verwaltungsführung im Optimierungsprozeß

Die politische Verwaltungsspitze beteiligt sich in enger Abstimmung mit den jeweiligen Fachämtern aktiv an dem Entwicklungsprozeß von Problemlösungen mit einer möglichst optimalen Kosten-Nutzen-Relation. Dadurch werden gegenüber den üblicherweise in hierarchisch strukturierten Organisationen praktizierten Entscheidungswegen entscheidende Vorteile erzielt. Die Regelungsdichte in der Bundesrepublik Deutschland zwingt die klassische Verwaltungslogik zur Entwicklung von Problemlösungen, die punktgenau ein Maximum von Vorschriftenerfüllung enthalten. Dieses Maximalprinzip führt dabei zwangsläufig zur Vorlage der kostenträchtigsten aller denkbaren Lösungen. Für den jeweils zuständigen Sachbearbeiter ist die Vorlage derartiger Planungen allerdings eine rationale Vorgehensweise.

Dr. Wolfgang Ressmann erläutert die
Verwaltungsreform in Neustadt/Weinstraße
Sie garantiert ein höchstmögliches Maß an Absicherung gegenüber den jeweiligen Vorgesetzten, der politischen Führung und der Öffentlichkeit. Die politische Führung ihrerseits beruft bei der Vorstellung dieser "Maximalplanungsvarianten" in städtischen politischen Gremien und der f5ffentlichkeit in der Regel auf das Expertenwissen der jeweiligen Verwaltungsmitarbeiter. Gemäß der hierachisch-partialen Organisationsstruktur öffentlicher Verwaltungen sieht es insbesondere die politische Führung nicht als ihre Aufgabe an, in die Steuerung einzelner Planungsvorgaben einzugreifen. Diese Logik öffentlicher Planungswege wird in Neustadt an der Weinstraße in entscheidenden Punkten durchbrochen. Um einen optimalen Planungs- und Entscheidungsprozeß zu gewährleisten, ist es eine zentrale Aufgabe, entscheidende Planungsparameter möglichst konsensual mit den politischen Gremien (Stadtrat, Fraktionen) abzustimmen.

Zentraler Bestandteil dieses Prozesses bildet eine Zielvereinbarung zwischen Verwaltung und den politischen Gremien.

3. Einbeziehung von Bürgerinitiativen und Bürgervereinen in spezifische Planungsprozesse als Planungsinstrument

Die Beteiligung der Bürgerschaft am, kommunalen Entwicklungsprozeß beschränkt sich nicht nur auf die reine Konsultations-, Anhörungs- und Mitspracheverfahren. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger sind in Neustadt an der Weinstraße direkt in den kommunalen Leistungserstellungprozeß einbezogen. Die Rückgabe von Souveränität und Verantwortung an die Bürgerschaft ist hier in erheblichem Umfang erfolgt. Diese Vorgehensweise sichert eine Optimierung bei der Allokation städtischer Leistungen, da die Notwendigkeit der aktiven Mitarbeit von Bürgerinitiativen bei der Realisierung eigener Forderungen die Unendlichkeit der Wünsche auf ein am realen Bedarf orientiertes Maß reduziert.

In Neustadt an der Weinstraße nehmen Bürgerinnen und Bürger selbstverantwortet Aufgaben in folgenden Bereichen wahr:

In Neustadt an der Weinstraße werden z. B. drei Schwimmbäder von gemeinnützigen Trägervereinen in eigener Verantwortung geführt. Von Elterninitiativen, die gemeinnützige Fördervereine ins Leben riefen, wurden in Neustadt an der Weinstraße in den vergangenen 4 Jahren u.a. 5 naturnahe und gut ausgerüstete Spielplätze in Eigenregie geschaffen. In der

Kernstadt hat eine Elterninitiative bei der Planung eines innerstädtischen Kinderspielplatzes intensiv mitgearbeitet und selbständig die Planung für die Einrichtung sog. Spielpunkte in der Innenstadt übernommen. Im Neustadter Stadtteil "Schöntat" haben Bürgerinnen und Bürger, wie in allen Neustadter Ortsteilen üblich, von der Stadt die Straßenreinigung übernommen. Um Gebührenerhöhungen für die übrigen Stadtteile im Bereich "Straßenreinigung" zu vermeiden, werden die Kapazitäten des zuständigen städtischen Bauhofes schrittweise reduziert. Ziel ist es, die Straßenreinigung überall dort wieder von Bürgerinnen und Bürgern durchführen zu lassen, wo diese dies wünschen.

4. Perspektiven

Der Weg der Stadt Neustadt an der Weinstraße aus der Spitzengruppe der höchstverschuldeten Städte der Bundesrepublik zu einer Stadt mit seit 1992 ausgeglichenem Haushalt, einer Schuldenrückführung in Höhe von ca. 66 Mill. DM; konstanten kommunalen Abgabensätzen bei gleichzeitig ebenfalls hohem Investitionsniveau zwischen 17 und 23 Mill. DM p. a. zeigt, daß die finanzielle Notsituation vieler Städte und Gemeinden auch eine Chance darstellt, kreative Kräfte freizusetzen. Letztlich durch die Einbeziehung der Bürgerschaft sogar die Chance eröffnet, Kommune wieder als Gemeinschaft leben zu können.
Das Beispiel Neustadt an der Weinstraße zeigt auch, daß die Bewältigung einer dramatischen kommunalen Haushaltssituation unter Einbeziehung von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft möglich ist, ohne die notwendige städtische Hilfestellung für sozial schwächere Bevölkerungsschichten einschränken zu müssen. Dieser in Neustadt an der Weinstraße praktizierte Einzelfall- und problemlösungsorientierte Weg fördert außerdem direkte Demokratie durch Delegation von Verantwortung. Statt neuer Beiräte sind in Neustadt an der Weinstraße konkretes Engagement Für die Gemeinschaft und die Zukunftsentwicklung der Stadt gefragt. Auf diesem direktem Wege werden die engagierten Bürgerinnen und Bürger zu Kooperationspartnern der Stadtverwaltung und der Politik bei der Gestaltung des kommunalen Gemeinwesens. 
Die Stadt und ihre aktive Bürgerschaft haben vor dem Hintergrund eines ausgeglichenen Haushaltes und einer wieder soliden Investitionsbasis die Zukunftsfähigkeit auf diesem Wege zurückgewonnen. Eine wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen kommunalen Reformprozeß ist außerdem eine transparente und offene Informationspolitik gegenüber der Bürgerschaft und den politischen Entscheidungsträgern; sowie die konzeptionelle und politische Glaubwürdigkeit der Verwaltungsspitze.



Publikationen:
 
Behörden Spiegel
'Trainingslager' für Beamte und Angestellte
Kongreßmesse 'Schlanker Staat' zum 2. Mal in Düsseldorf
Erscheinungsdatum: Juli 1998
 
 
Kongreßdokumentation "Schlanker Staat"