Haushaltssanierung und
Verwaltungsreform/Pressespiegel/Pfalzweite
Berichterstattung 1998
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Die Rheinpfalz, Ludwigshafen Erscheinungsdatum: 23. Juli 1998 |
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Südwestdeutsche Zeitung
Von: Sebastian Böckmann
Die Zauberformel heißt Kreativität
Stadt Neustadt investiert und baut dennoch die Schulden konsequent ab
NEUSTADT/BERLIN. Früher haben böse Zungen immer wieder behauptet, daß "die
Roten nicht mit Geld umgehen" können, heute stellen zwei gestandene
Sozialdemokraten auf Einladung des Bundespräsidenten im Schloß Bellevue in
Berlin jenes Konzept vor, nach dem Neustadts Verwaltung sparsam wirtschaftet und
sich zum Vorbild an Effizienz entwickelt hat: Oberbürgermeister Jürgen Weiler
und der Beigeordnete Wolfgang Ressmann.
Neustadt hat seinen Schuldenbuckel von einstmals 211 Millionen Mark (1984/85)
auf 125 Millionen zum Beginn dieses Jahres abgebaut, und seit Jahren gleicht die
Stadt als einzige weit und breit nicht nur ihren Haushalt aus, sondern wird an
Silvester sogar noch mindestens elf Millionen Mark auf der hohen Kante haben.
Erstmals denkt nun der "schwarze” Beigeordnete Hermann Schatz sogar über eine
kräftige Senkung der Müllgebühren nach.
Parteien ziehen an einem Strang
Dennoch empfindet der Oberbürgermeister die Vokabel "Sparen” inzwischen schon
fast als Schimpfwort. Viel besser gefällt ihm das, was der Steuerzahlerbund über
den von ihm präsentierten Teil der Veranstaltung bei Herzog geschrieben hat:
"Effizient und sparsam - drei Beispiele für den verantwortungsvollen Umgang mit
Steuergeldern”. "Wir sparen ja nicht nur, wir investieren jedes Jahr Millionen”,
wird Weiler nicht müde zu betonen. Tatsächlich werden dieses Jahr fünf Millionen
Mark mehr als vor einer Dekade investiert.
Längst geben sich im Rathaus Reporter aller Medien die Klinke in die Hand, um über "Das Wunder an der Weinstraße” (Bild am Sonntag) zu berichten, und Ressmann stellt mindestens einmal monatlich das "Modell Neustadt" bei Verwaltungskongressen oder Foren vor, von der "Prozeßoptimierung in der öffentlichen Verwaltung” im März über "Schlanker Staat” unter Schirmherrschaft des Bundeskanzlers im Juni bis hin zum "Weg zur Optimierung öffentlicher Ressourcen” im Oktober oder "Finanzmanagement” im November. Die Haushaltskonsolidierung, die nur durch die Zusammenarbeit von CDU und SPD im Stadtrat (bei häufiger Zustimmung der kleinen Parteien FWG, Grüne, ÖDP und FDP) möglich war, ist laut Ressmann nur das Sprungbrett gewesen, von dem sich Neustadt "in der Reformdebatte der öffentlichen Verwaltung in die vorderste Front” katapultiert hat. Seit ein paar Jahren werde vor Ort "eine neue politische Kultur gepflegt, die Beteiligungskultur”, schwärmt Ressmann und ergänzt ganz unbescheiden: "Da sind wir Spitze”.
Ganz bewußt habe es keine Verwaltungsreform gegeben, weil dabei meistens
"eine Verwaltung der Reform” rauskommt. Aus der Not geboren, hat Neustadt seinen
Weg zur "Bürgerkommune” anders eingeschlagen: Geld gab´s nur gegen Leistung.
Fördervereine betreiben die Schwimmbäder, Sportvereine legen im Sportzentrum
Hand an und Elterninitiativen bauen Spielplätze. Das spart nicht nur, es stiftet
Identifikation der Bürger mit der eigenen Stadt, und es bringt erhebliche
Qualitätssteigerungen. Ressmann verweist auf eine Reihe von unkonventionellen
Spielgeräten in der Fußgängerzone: "Auf solche Ideen wären wir als Verwaltung
gar nicht gekommen.” In einem anderen Fall war die Verwaltung zwar auch auf eine
Idee gekommen, nämlich, sich in Mainz um Fördermittel für den
Sportstätten-Ausbau zu bemühen, doch ein Bürger war schneller: Der
SPD-Fraktionsvorsitzende im Ortsbeirat Hambach, Ludwig Haas, hatte schon ans
Innenministerium geschrieben und nach Zuschußmöglichkeiten für die Sanierung des
Freibades Hambach gefragt.
Tische aus der Berufsschule
Gestaltungs-Freiräume hat es auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Verwaltung gegeben, von denen sich Neustadt deutlich weniger als vergleichbar
große Städte leistet, ohne daß darüber lauter als andernorts geklagt würde. So
werden Haushaltsposten als absolute Obergrenzen verstanden, die es möglichst zu
unterschreiten gilt. Dabei sind neben eigentlich Selbstverständlichem, aber
andernorts offenbar nicht immer Hinterfragtem, auch ein paar pfiffige
Detail-Lösungen herausgekommen. So wird Streusalz zusammen mit der
Straßenmeisterei am Ort beschafft und dort auch gelagert, Klapptische für die
Stadtbücherei sind nicht für teures Geld angeschafft, sondern in der
Berufsbildenden Schule angefertigt worden. Im neuen Bauhof - jetzt auf eigenem,
statt angemietetem Gelände - konnte auf eine Zwischendecke in der Halle
verzichtet werden, weil man den Lagerbestand auf das unbedingt Notwendige
zurückgefahren hat und den Rest in Regalen aus einem Firmenkonkurs vorhält.
Sparsamkeit am Fotokopierer. Mit der Telekom hat die Stadtverwaltung
Sonderkonditionen ausgehandelt; bei Fotokopierern wurden die Kosten vom 300.000
Mark jährlich auf 70.000 Mark gedrückt, seit Chips den Mißbrauch durch Fremde
verhindern und Codenummern Rückschlüsse auf den Benutzer erlauben. Daß selbst
Kleinvieh eine Menge Mist macht, haben der Oberbürgermeister und sein Fahrer
Wolfgang Wilhelmy erst kürzlich gezeigt: Als für den Besuch einer auswärtigen
Delegation Tischkarten-Halter benötigt wurden, waren Weiler die zum Kauf
angebotenen Exemplare einer italienischen Schmiede zu teuer. Wilhelmy wurde mit
der Suche nach einer preiswerten Alternative beauftragt und brachte einen
abgebrochenen Besenstiels: In kurze Stücke zerlegt, eingekerbt und mattschwarz
lackiert. Ersparnis: Rund 99 Prozent.
Die Internetveröffentlichung dieses Artikels erfolgt mit
freundlicher Genehmigung des Rheinpfalz-Verlages Ludwigshafen.