Haushaltssanierung und Verwaltungsreform>>Pressespiegel>>Regionale Berichterstattung

 


Allgemeine Zeitung, Mainz
Erscheinungsdatum: 24.07.1998


"Wunder an der Weinstraße"
Neustadts Abstieg vom Schuldenberg / Bundespräsident neugierig
Von unserem Redaktionsmitglied Monika Paul


NEUSTADT/BERLIN Wunder können manchmal auch sechs Nullen haben. Das "Wunder an der Weinstraße" ist ein solches Millionen-Mirakel. Nirgendwo sonst im Land gibt es eine Kommune, die es ähnlich wie Neustadt geschafft hat, das Defizit im Haushalt auszumerzen: Ein Erfolg, der auch den Bundespräsidenten neugierig machte. Gestern waren Neustadts Oberbürgermeister Weiler und der Beigeordnete Ressmann (beide SPD) bei Herzogs "Tag der Innovation" in Berlin zu Gast. Die lieblichen Hügel des Pfälzer Waldes sind nichts gegen den Schuldenberg, den Neustadt als eine der bundesdeutschen Kommunen mit dar höchsten Pro-Kopf-Verschuldung angehäuft hatte: 211 Millionen Mark waren es in der 56.000-Einwohner-Stadt 1984/85. Inzwischen ist das Minus auf 125 Millionen geschmolzen. Und als einzige kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz gelang es Neustadt, den Haushalt seit 1993 in Folge auszugleichen.

In Neustadt stehe "das wirtschaftliche Optimum und nicht das verwaltungstechnische Maximum am Beginn von Planungsprozessen", erklärt Verwaltungsfachmann Ressmann das Geheimnis. Stadt-Pressesprecher Günther sagt es handfester: "Bei uns wird praktisch gedacht." Beispiel Freibäder: vier gibt es in Neustadt. Knallhart erklärten die Stadtväter: "Das ist Luxus." Darauf gründeten Bürger gemeinnützige Trägervereine. Die Vereinsmitglieder mähen den Rasen auf den Liegewiesen, sorgen für den Kassendienst; der Verein stellt den Bademeister. Vorher kostete die Stadt der Bäderspaß 1,25 Millionen, nun liegt der Zuschußbedarf bei weniger als der Hälfte. Beispiel Spielplätze: Elterninitiativen schufen in den letzten vier Jahren in Eigenregie fünf Spielplätze. Pressesprecher Günther: "Vandalismus gibt es dort nicht mehr. Die Kinder wissen genau: diese Rutsche hat mein Papa gebaut."

Daß OB Weiler gerne bei Neuanschaffungen feilscht, ob es nun um die Kaffeemaschine für sein Vorzimmer oder um ganze Feuerwehr-Autos geht, ist allseits bekannt. Neu dagegen ist die Sache mit den Tischkarten-Haltern" für aus" auswärtige Besucher. Als sparsame Alternative fand sich ein Besenstiel: zersägt, eingekerbt und schwarz lackiert.

Stadt-Pressesprecher Günther weiß: Journalisten mögen solche Geschichten. Ihm geht es aber auch darum, die grundsätzliche Maxime hinter den Histörchen zu vermitteln: "Bei uns herrscht Konsens, Haushaltsansätze tatsächlich als oberste Grenze zu begreifen." Gut ist, wer zum Jahresende etwas übrig hat, besser, bei wem es noch mehr ist. Die Ämter dürfen ihren "Sparstrumpf" ins nächste Jahr mitnehmen. Das Dezemberfieber" sei damit kuriert. Für Ende 1998 rechnet Neustadt mit elf Millionen Mark auf Überschuß.

Eingebogen sind die Haushälter auf den Pfad der Tugend nach einem Mehrheiten-Wechsel 1989. Und natürlich sind die Roten stolz, im Kampf gegen rote Zahlen erfolgreich zu sein. Zugleich wird betont, daß die Konsolidierung nur mit den anderen Parteien machbar war. Und so darf wohl der "schwarze" Dezernent Schatz demnächst das nächste Wunder verkünden: nachdem Steuern- und Gebühren seit 1993 gleich blieben, sinken die Müllgebühren demnächst wohl sogar.

Die Internetpublikation dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des AZ-Verlages, Mainz.