Haushaltssanierung und Verwaltungsreform/Pressespiegel/Nationale Berichterstattung

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Erscheinungsdatum: 9. Juli 1997

Weniger Schulden, ausgeglichener Haushalt Das Geheimnis des Neustädter Erfolges
Bürgersinn und eine wachsame Verwaltung ! Ein Musterfall
Von Eckhart Kaunzt

NEUSTADT, 8. Juli. Keine Spur von Leder oder gediegenen Edelhölzern, von demonstrativen Zeugnissen kommunaler Machtentfaltung auf höchster Ebene. Die wenigen Bilder im Amtszimmer des Oberbürgermeisters sind Leihgaben, der Hausherr und seine Besucher sitzen auf freischwingenden Stahlstühlen. Betörend in schlichter Umgebung wirkt allein der süße Duft einen Rosenstraußes. Jürgen Weilers Vorzimmerdame liebt Blumen, und sie läßt ihren Chef teilhaben an dem, was ihr Garten in diesem Sommer hervorgebracht hat.

Die bescheidene Innenausstattung im Neustädter Stadthaus war ein Schnippchen. Der 1992 aus dem Richteramt ausgeschiedene und auf den Sessel des Neustädter Stadtoberhauptes gelangte Sozialdemokrat hatte bei der Möblierung auf einen ordentlichen Rabatt gedrungen. Geiz im Umgang mit den Steuergeldern gilt in Neustadt an der Weinstraße auch sonst nicht als Makel. Steht der Kauf eines Feuerwehrautos an, läßt Weiter erst einmal mögliche Preiszugeständnisse ermitteln. Wer dann bei der Ausschreibung glaubt, mit überhöhten Listenpreisen und im Vertrauen auf mangelnde Preisempfindlichkeit bei behördlichen Einkäufern doch zum Zuge zu kommen, der hat bei den Neustädtern keine Chance. Heim Einkauf von Dienstleistungen durch die Kommune stoße das Bemühen um Sparsamkeit allerdings an Grenzen, bedauert Weiler. Kein privater Abnehmer akzeptiere gerne offizielle Gebührenordnungen, "aber wir haben da unsere Schwierigkeiten", klagt das Stadtoberhaupt.

Neustadt an der Weinstraße mit seinen 56 000 Einwohnern liegt in einem von der Sonne verwöhnten Landstrich, wo sogar Zitronenbäume blühen. Auf 2305 Hektar Rebfläche wächst hier mehr Wein als in jeder anderen Gemeinde Deutschlands. Unter den zwölf kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz sticht der Ort am östlichen Rande des Pfälzerwaldes aber noch aus einem anderen Grunde hervor. Die anderen elf Städte im Lande sind in einer Schuldenspirale gefangen und werden in diesem Jahr ein kumuliertes Haushaltsdefizit zwischen 450 Millionen und 5000 Millionen Mark "erwirtschaften". Nicht so Neustadt: Den Ausgaben in Höhe von 152 Millionen Mark beim Verwaltungshaushalt werden Einnahmen in gleicher Höhe gegenüberstehen. Seit 1992 ist zudem der Neustädter Schuldenberg von 185 Millionen auf 135 Millionen geschmolzen.

Das Geheimnis des Neustädter Erfolges hat viele Ursachen. Ein einvernehmliches Klima in den von SPD, CDU und einem Vertreter einer Freien Wählergemeinschaft gebildeten Stadtvorstand sowie im Neustädter Kommunalparlament hat nach Ansicht Weilers mit der Bereitschaft zu tun, das teure Klüngelprinzip "Gibst du mir was, geb ich dir was" zugunsten eines gemeinsam definierten Interesses hintanzustellen.  Bürgersinn wird in Neustadt auch außerhalb des Rates gepflegt, dessen mit einer Aufwandsentschädigung von 300 Mark monatlich "entlohnten" Mitglieder - im Gegensatz zu vielen anderen Kommunalparlamenten - einem ungeschrieben Gesetz zufolge auf Ansprüche verzichtet, die ihnen wegen eines Verdienstausfalles während der Sitzungszeiten zustehen würden. Von den vier Schwimmbädern wird eines von den Stadtwerken betrieben, die drei anderen wurden in die Obhut von Fördervereinen gegeben. Statt einer städtischen Angestellten sitzt nun eine ehrenamtliche Kraft hinter der Kasse. Das jährliche Defizit ist auf ein Drittel zurückgegangen. Ein neuer Spielplatz hat seine Existenz einem Elternverein zu verdanken. Vereine werden gefördert, aber ein Eigenbeitrag wird verlangt. So stellt die Stadt gerne Häuser zur Verfügung, überläßt aber den Innenausbau dem Nutzer. Die vom Verfall bedrohten und die Stadtkasse belastenden Häuser am Markt sind verkauft. Privater Ehrgeiz machte aus den Anwesen mittlerweile Schmuckstücke, weil, wie Weiler sagt, die notwendigen Verschönerungen · nur durch den Einsatz der Eigentümer an "ihrem" Haus zustande kommen konnten. Immobilienverkäufe brachten in den vergangenen Jahren einen Erlös von 15 Millionen Mark. Die Stadtverwaltung scheut sich auch nicht, die Bedürftigkeit von Sozialhilfeempfängern zu kontrollieren. Wer sich in Neustadts Straßen seines Abfalls entledigt, muß damit rechnen, höflich aber bestimmt darauf angesprochen zu werden. Die für die Überwachung des ruhenden Verkehrs zuständigen Mitarbeiter gehen mit dem Auftrag durch die Stadt, auch hier für Ordnung zu sorgen.

Neustadts Schulen wurden in den letzten Jahren mit modernen Heizungsanlagen ausgestattet. Auf die Einstellung eines Ingenieurs wurde verzichtet. Planung wie Ausführung über Privataufträge vergeben. Eine motivierte und von ehrenamtlich tätigen Bürgern entlastete Verwaltung - das sind die Schlüssel des Erfolges. Der läßt sich auch in der Zahl der vollzeitbeschäftigten städtischen Dienstleister - bezogen auf jeweils zehntausend Einwohnernachweisen. Unter den zwölf kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz kommt Neustadt auf den Spitzenwert von 97,4 -. während sich jeweils zehntausend Ludwigshafener von 173,9 und zehntausend Mainzer von 136,6 städtischen Bediensteten betreuen lassen. Allerdings hatte Neustadt als industrieschwache Ämterstadt mit einer Bezirksregierung, einem Verwaltungsgericht und einem Kreiswehr-Ersatzamt nicht sehr stark unter der Abnahme der Gewerbesteuereinnahmen in den vergangenen Jahren zu leiden. Dafür geriet Neustadt, vor einigen Jahren noch Unterstützungsempfänger der Mainzer Landesregierung, nun in die Rolle des finanzpolitischen Musterknaben.
 
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