Dokumentation Haushaltssanierung und Verwaltungsreform/Fachzeitschriften


Der Steuerzahler - Monatszeitschrift des Bundes der Steuerzahler
Von: Dieter Krapp
Erscheinungsdatum: September 1998


Finanzpolitik

Innovationstage in Berlin
Bundespräsident lud ins Schloß Bellevue ein

Mit den Innovationstagen im Schloß Bellevue, seinem Berliner Amtssitz, gab Bundespräsident Roman Herzog am 23. und 24. Juli 1998 Reformprojekten aus den Bereichen Bildungswesen, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung die Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Innovative Ideen und gute Beispiele stellten sich vor und luden zur Nachahmung ein. Auf Einladung des Bundespräsidenten führte der Bund der Steuerzahler drei Fallbeispiele vor, die Schule machen könnten.

Unter der Überschrift "Reform des Besteuerungsverfahrens - Von der Ämterverwaltung zur Serviceverwaltung" zeigte Dieter Riempp, Präsident der Oberfinanzdirektion Stuttgart, wie eine bürgerorientierte Reform der Finanzämter, die den Bürger zukünftig als Kunden und nicht mehr als "Steuerpflichtigen" begreift, aussehen kann. "Die Finanzämter können das Steuerrecht nicht besser machen, aber das Besteuerungsverfahren für den Bürger leichter", lautete eine seiner Kernaussagen. Durch Verbesserungen wie die Einrichtung einer zentralen Kundentheke und die beschleunigte Veranlagung dafür geeigneter Fälle wird in den Finanzämtern ein hohes Maß an Elexibilität und an Kundenfreundlichkeit erreicht. Zum einen werden die Finanzbeamten entlastet und Können einen genaueren Blick auf wichtige Fälle, die sogenannten "dicken Fische" werfen. Zum anderen wird die Abfertigung der Normalfälle beschleunigt und die Leistung der Finanzbeamten für den Bürger transparenter. Positiver Zusatzeffekt ist auch die Öffnungszeit, die sich mehr als verdoppelt. Fernziel ist nach Angaben von Präsident Riempp, im Rahmen der in Baden-Württemberg geltenden 40-Stundenwoche die Finanzämter auch am Samstagvormittag zu öffnen.

Zusätzlich soll auch der schriftliche Umgang mit dem Bürger verbessert werden, um die Akzeptanz der Finanzverwaltung zu erhöhen. Formalisierte Schreiben und Formulare mit hölzernen, schwer verständlichen Formulierungen verärgern die Steuerzahler schon seit Jahren und Jahrzehnten. Eine Arbeitsgruppe soll jetzt Abhilfe schaffen. Trotz dieser und weiterer Reformansätze ließ Präsident Riempp aber keinen Zweifel daran, daß eine Reform des Besteuerungsverfahrens, also der Arbeitsweise der Finanzämter, die dringend notwendige Reform des Steuerrechts nicht ersetzen kann.

Bürger helfen mit

Als zweites Beispiel wurde die unter großer Bürgerbeteiligung erfolgte und erfolgreiche Haushaltskonsolidierung der Stadt Neustadt an der Weinstraße präsentiert. Mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 4.500 Mark war die kreisfreie Stadt noch Mitte der achtziger Jahre eine der höchstverschuldeten Gemeinden überhaupt. Das hat sich grundlegend gewandelt. Seit 1993 hat sie ihren Haushalt stets ausgleichen und gleichzeitig den kommunalen Schuldenberg von 185 Millionen auf 119 Millionen Mark reduzieren können. Dabei blieb das städtische Leistungsspektrum in vollem Umfang erhalten, und die Investitionen konnten sogar noch gesteigert werden. Steuer-, Gebühren- und Beitragssätze blieben seit 1993 stabil. Eine ganz wichtige Grundregel sei dabei gewesen, mit städtischem Geld genauso sparsam umzugehen wie mit eigenem, erläuterte Dr. Wolfgang Ressmann, Finanzdezernent der Stadt Neustadt an der Weinstraße. Er wies ausdrücklich darauf hin, daß ohne entsprechendes Engagement der Bürger der Sanierungserfolg in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Die Beteiligung der Bürger beschränkt sich nicht nur auf reine Konsultations-, Anhörungs- und Mitspracheverfahren. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger wirken unmittelbar oder in Vereinen und Bürgerinitiativen aktiv mit. So werden zum Beispiel drei Schwimmbäder von gemeinnützigen Trägervereinen in eigener Verantwortung geführt. Von Elterninitiativen ins Leben gerufene gemeinnützige Fördervereine haben in den vergangenen vier Jahren in eigener Regie unter anderem fünf naturnahe und gut ausgestattete Spielplätze geschaffen. Der in Neustadt an der Weinstraße praktizierte einzelfall- und problemlösungsorientierte Weg fördere direkte Demokratie und BürgerbewuÞtsein durch Delegation von Verantwortung. "Letztlich", so Dr. Ressmann, "wurde durch die Einbeziehung der Bürgerschaft die Chance eröffnet, Kommune wieder als Gemeinschaft leben zu können." Die finanzielle Notsituation habe ungeahnte kreative Kräfte freigesetzt.
 
Steuerzahlerpräsident Dr. Karl Heinz Däke (links) stellte einem interessierten Publikum drei innovative Projekte vor. Die wurden repräsentiert von Oberfinanzpräsident Dieter Riempp, Dr. Wolfgang Ressmann, Finanzdezernent der Stadt Neustadt an der Weinstraße, und Christian Rosenkranz, Geschäftsführer des ibu-Instituts. Moderiert wurde die Talkrunde von ZDF-Journalist Alexander von Sobeck.

Ältere Arbeitslose wieder eingliedern

Drittens stellte Geschäftsführer Christian Rosenkranz die "Initiative 50" aus Neustadt/Glewe in Mecklenburg/ Vorpommern vor. Es handelt sich dabei um das Projekt eines Bildungsträgers zur Qualifizierung und Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt. Aus 80 Teilnehmern werden zunächst 43 ausgewählt, die einen Arbeitsvertrag bei der Initiative 50 erhalten. Sie werden zuerst geschult und dann in geeignete Betriebe vermittelt. Dabei ist von vornherein klar, daß das Beschäftigungsverhältnis bei der Initiative 50 auf ein Jahr befristet ist und die feste Übernahme durch das Unternehmen angestrebt wird. Während dieses Jahres können die Arbeitnehmer bis zu vier Monate den fachlichen Anforderungen der Betriebe entsprechend weiter geschult werden. Die Lohnkosten betragen Für das Unternehmen nur 30 Prozent des üblichen Lohns, die Differenz zahlt die Initiative 50, die aus Steuermitteln unterstützt wird.

Dieses Modell kommt allen entgegen: Den Arbeitnehmern, denn sie haben ein Bein im ersten Arbeitsmarkt und ein Jahr die Möglichkeit, sich im Betrieb für eine dauerhafte Anstellung zu empfehlen. Die Unternehmen sparen die aufwendige Suche nach geeignetem Personal und können den Arbeitnehmer ein Jahr lang testen und gegebenenfalls zusätzlich qualifizieren lassen. Und schließlich profitiert auch der Steuerzahler davon, denn es ist von Beginn an klar, daß die Maßnahme und damit die Lohnsubventionierung befristet ist.